Einsame Wüstenberge – Erkundungsfahrt in die Sahara 1967

Text: Rudolf Breit
Fotos: Alfred Graf von Matuschka
Archiv: Sepp Feuersteiner
Bearbeitung: Jürgen Lohrmann

Die Teilnehmer an der Erkundungsfahrt

Rudolf Breit (Leiter) aus Wildenwart, Sektion Bad Aibling
Lorenz Kronast aus Wildenwart, Sektion Prien
Sepp Feuersteiner aus Prien, Sektion Prien
Jürgen Künzel aus Lauingen, Sektion Dillingen
Alfred Graf von Matuschka aus Wildenwart, Sektion Prien

Die Reiseroute

Da die Schwierigkeiten dieser Erkundungsfahrt nicht allein im Besteigen der Berge der Sahara, sondern auch großenteils im Erreichen des Erkundungsgebiets und in der Rückreise auftraten, beschreibt der Bericht auch die An- und Rückreise.

Anreise – reicht das Benzin für die Pisten in der Wüste?

Am 5. Januar starten wir mit zwei VW-Bussen in Wildenwart, vollbeladen mit Verpflegung und Ausrüstung sind. Durch ein winterliches Italien erreichen wir nach vier Tagen Palermo. Von hier bringt uns das Passagierschiff “Sizilia’ zum afrikanischen Kontinent, und zwar nach Tunis. Entlang der Großen Syrte fahren wir auf einer gut ausgebauten Asphaltstraße bis Medenine. Von Medenine gehts in südlicher Richtung der Sahara entgegen. Nach 100 km ist die Asphaltstraße zu Ende. Eine verhältnismäßig gut ausgebaute Wüstenpiste bringt uns weiter. An einer Weggabelung müssen wir diese Piste verlassen, um nach Angabe des ADAC das Fort Bj. Djeneien zu erreichen. Auf einer teilweise sehr schlechten Piste kommen wir bis etwa 10 km vor Djeneien. Ein sich aufbauender Erg (wandernder Sandberg) versperrt uns den Weg zum Fort. Uns bleibt keine andere Wahl, als die 50 km bis zur Weggabelung zurückzufahren und zu versuchen, die nächste Ortschaft in Libyen zu erreichen; um von hier nach Ghadames im Länderdreieck Libyen, Tunesien, Algerien vorzustoßen. Das Benzin wird bis zu dieser Ortschaft reichen.

Nach den zurückgelegten Kilometern müssten wir die Ortschaft Sinaoun (heute: Hasi Oum Mélah Sinaoun) schon längst erreicht haben, jedoch um uns ist nur Wüste. Wir überprüfen unsere Fahrtrichtung und steilen fest, dass diese Piste vermutlich nach Fort Saint (heute: Borj El Khadra), im südlichen Teil Tunesiens führen wird, und nicht wie angenommen nach Sinaoun. Dies wäre für uns sehr günstig, da dies die kürzeste Strecke ist und von Fort Saint bis Ghadames nur noch 40 km zu fahren sind. Was uns jedoch größere Sorgen macht, ist die Tatsache, dass wir mit dem mitgeführten Reservebenzin, wenn wir das Benzin für beide Fahrzeuge verwenden, nicht bis Fort Saint kommen werden. Um nicht mit beiden Fahrzeugen in der Wüste festzusitzen, wird beschlossen, den letzten Reservekanister für ein Fahrzeug zu verwenden und mit diesem zu versuchen, Fort Saint zu erreichen.

Kurz bevor wir einen Wagen auf der Strecke lassen müssen, kommt die Pumpstation Tiaret der Pipeline “EI Hama” in Sicht. Dies war für uns die Rettung – wir wussten von dem Bestehen dieser Pumpstation nichts.

Durch militärisches Sperrgebiet

Damit der Unbeteiligte versteht, weshalb wir solche Fehlvermutungen über den Verlauf der Pisten hatten, muss erklärt werden, dass ein Großteil der in den Karten verzeichneten Pisten nicht mehr zu befahren sind und die neuen Pisten seit dem Abzug der Franzosen aus der Sahara kaum noch beschildert werden. In Tiaret bekommen wir wohl Benzin, müssen aber einen Aufenthalt von drei Tagen einlegen, um eine Sondergenehmigung der Tunesischen Regierung zu bekommen, die uns erlaubt, durch ein militärisches Sperrgebiet nach Fort Saint zu gelangen. In Fort Saint werden wir vom leitenden Offizier verabschiedet, der uns noch die Piste zur Oase Ghadames in Libyen erklärt. In Libyen wird nur eine kurze Stippvisite gemacht, um unsere Fahrzeuge und die 20 Reservekanister aufzutanken.

Mit dem Überschreiten der Grenze nach Algerien begann für uns eine Reihe von Schwierigkeiten, die bei der Planung unserer Fahrt nicht zu erkennen waren. Da wir vermutlich die ersten Touristen waren, die auf diesem Weg nach Algerien einreisten, wissen die Grenzbehörden kaum etwas mit uns anzufangen. Unsere Pässe werden nicht abgestempelt. Für die Fahrzeuge bekamen wir keine Einreisepapiere. Es war im Grunde genommen dasselbe, als hätten wir überhaupt keine Grenze passiert. Dies ist für uns vorerst nicht so schlimm, wir haben ja ein gültiges Einreisevisum vom algerischen Konsulat in Bonn. Die Frage, die uns mehr bedrückt, ist die folgende:

Wo können wir Geld einwechseln?

Wir hoffen, dies in In Aménas, dem aufstrebenden Erdölzentrum der Sahara, erledigen zu können. In Algerien ist das illegale Einführen von ausländischen Banknoten verboten. Das Einwechseln von Geld ist nur mit einer Bescheinigung der Zollbehörden möglich. Diese Bescheinigung bekamen wir von der Zollstation in In Aménas nicht. Uns bleibt keine andere Wahl, als zu versuchen, schwarz einzuwechseln. Obwohl wir von der Polizei, die durch unsere Bemühungen aufmerksam wurde, stark beobachtet werden, gelingt es uns schließlich, 250 Dollar in Dinars einzuwechseln. Finanziell wieder etwas beweglich geworden, wenden wir uns unserem nächsten Ziel Fort de Polignac zu, am Fuße des Erkundungsgebietes Tassili n‘Ajjer.

Bis El Adeb Larache fahren wir auf einer Asphaltstraße der Erdölgesellschaft, dann folgt die schwierigste Strecke unserer gesamten Fahrt. Der erste Teil dieser Strecke besteht aus einer Steinwüste, in der die Orientierung nur durch Benzinfässer möglich ist, die in einem Abstand aufgestellt sind, dass das normale Auge sie gerade noch erkennen kann. Langsam kommen wir gewaltigen Sandbergen (von den Arabern Hidabs genannt) näher.

Mit 34 PS über die Sanddünen?

Zwischen zwei gewaltigen Flugsandwüsten sucht sich die Piste nach Fort de Polignac durch. In diesem Streckenabschnitt treten gewaltige Sanddünen auf, die unser Vorwärtskommen sehr erschweren. Unsere VW-Busse haben zu wenig PS, um durch die Sanddünen mit Schwung durchfahren zu können. Der Kraftverschleiß war so groß, dass wir unsere Fahrzeuge selbst mit dem ersten Gang abdrosseln. Hinzu tritt das Aufsitzen unserer Busse mit den Bodenblechen im Flugsand. Wenn wir bei dem ersten Versuch über eine Düne nicht hinwegkommen und festgefahren sind, hilft nichts anderes, als erst den Bus freizuschaufeln und dann mit einem langen Drahtseil und dem zweiten Bus das festgefahrene Fahrzeug rückwärts aus den Flugsand rauszuziehen. Wir haben dann das Fahrzeug wieder frei, aber vor uns bauen sich nach wie vor die Flugsanddünen auf, die den Weiterweg versperren. Um diese Hindernisse überwinden zu können, schaufeln wir einen Teil der Dünen ab und legen in Spurbreite Sandleitern aus, auf denen wir den festen Boden jenseits der Düne erreichen.

Bei unseren Vorbereitungen für die Erkundungsfahrt fertigten wir aus 30 cm langen Eichenleisten, die im Abstand von 5 cm mit 2 mm starken Drahtseilen verknotet waren, Sandleitern an, um in äußersten Notfällen auch Sanddünen überwinden zu können. Dass wir diese Sandleitern im zentralen Bereich der Sahara fast täglich brauchen, hatten wir nicht erwartet.

Bei diesem Gelände stieg der Benzinverbrauch ins Unermessliche. Obwohl wir an einem Tag von morgens 8 Uhr bis abends 20 Uhr nur 50 km zurücklegten, brauchte jedes Fahrzeug 20 Liter. Dies ergibt einen Benzinverbrauch von 40 Liter/100 km. Für uns tritt die Frage auf: Kommen wir bis zur Oase Djanet mit unserem Reservebenzin durch? In Polignac werden wir kein Benzin bekommen. Wir können diese Frage aufgrund der vor uns liegenden Kilometer sofort verneinen.

So kurz vor unserem Erkundungsgebiet wollen wir jedoch nicht umkehren. Wir beschließen weiterzufahren, solange das Benzin reicht, und dann zu versuchen, mit nomadisierenden Tuareg Kontakt aufzunehmen, um eine Karawane zusammenzustellen und mit dieser Benzin für die Weiterfahrt herbeizuschaffen. Vierzig Kilometer vor Fort de Polignac treffen wir auf einen defekten LKW, das erste Fahrzeug seit El Adeb Larache. Ein Mann der vierköpfigen Besatzung des Lastwagens fährt mit uns nach Polignac. Mit Gesten und ein paar französischen Wörtern erklären wir ihm, dass wir unbedingt Benzin brauchen. Mit seiner Hilfe bekommen wir 160 Liter des in Fort de Polignac vorhandenen Benzinvorrats von 200 Litern. Der Preis ist entsprechend: 1 Liter Benzin kostet 1,60 Mark! Wir zahlen gerne, denn jetzt steht der Weg zu den einsamen Wüstenbergen, die bereits am Horizont auftauchen, wieder offen.

Über das Fadnoun-Plateau kommen wir nach zweitägiger Fahrt über eine im Laufe der Jahrtausende schwarzgebrannte Felslandschaft zu unserem ersten Erkundungsgebiet im Tassili n’Ajjer

Übersicht der Erkundungsgebiete

Erstes Erkundungsgebiet: Tasedjebest im Tassili n‘Ajjer

Kahl aus dem gelben Sand der Wüste ragen in rosa-schwarzem Sandgestein kühne Türme und gewaltige Felsgruppen hervor. Hier ist das Reich der verschleierten Männer, der Tuaregs, die sich durch Ihre Verschlossenheit und mit ihrem verwegenen Aussehen harmonisch in dieses wilde Landschaftsbild einfügen.

In der Gebirgsgruppe Tasedjebest des Tassili n‘Ajjer, acht Kilometer südlich der Passstraße Tin Taradjeli erreichen wir unser erstes Lager. Umgeben von herrlichen Gipfeln, die im letzten Rot der Sonne aufleuchten, bauen wir am 21. Januar unsere Zelte auf. Da bisher keine Erkundungsfahrt über unsere Route das Gebirge Tassili n‘Ajjer erreichte, können wir damit rechnen, dass diese Berge noch nicht bestiegen wurden. In Zweierseilschaften wenden wir uns am anderen Morgen den unserem Lager nächstgelegenen Gipfeln zu. Während es Lenz und Sepp auf die westlich des Lagers gelegene Hauptgruppe abgesehen haben, streben Alfred und ich einer Gipfelkette im östlichen Teil unseres ersten Erkundungsgebiets zu.

Der erste Anstieg auf einen Saharagipfel soll auf einem noblem Weg erfolgen. Ein Risskamin, der nach kurzem Hinsehen den Schwierigkeitsgrad III (nach der Alpenskala) vorgibt, soll den Durchstieg vermitteln. In der zweiten Seillänge erkennen wir bereits, dass dieser Fels durch seinen lockeren Aufbau wesentlich schwieriger zu klettern ist als das Gestein der Kalkalpen.

Kaminklettern im Sandstein

Vorsichtig, damit mir ja keiner dieser einladenden Griffe in den Fingern bleibt, taste ich mich höher. Der Schwierigkeitsgrad III hat sich bereits um eine gute Stufe gesteigert. Der Kamin weitet sich. Für eine Wandseite des Kamins heißt es sich nun entscheiden, überspreizen kann man den Kamin nicht mehr. Ich stoße mich von der rechten Kaminseite ab, dann hänge ich ziemlich labil an der anderen Kaminseite. Ein paar unangenehme Meter sind zu überwinden, bei denen man nicht weiß, wo man sich eigentlich halten soll, bis wieder leichteres Gelände kommt und ein Standhaken geschlagen werden kann. Dieser Haken ist jedoch eher eine moralische als eine wirkliche Sicherung. Alfred kann ihn beim Nachklettern mit der Hand rausziehen. Durch den porösen Aufbau des Gesteins ist der Halt der Haken gering. Ein leichter seitlicher Schlag auf den Haken genügt, um den Halt des Hakens auszubrechen.

Aufgrund dieser Tatsache sind wir gezwungen, fast alle schwierigen Kletterstellen ohne technische Hilfe zu bewältigen. Die Schwierigkeiten des Anstieges haben etwas nachgelassen. Eine lose angelehnte Platte ist noch zu überspreizen, dann stehen wir auf dem Gipfel. Vor unseren Augen baut sich eine bizarre Gipfelwelt auf, die an Vielfältigkeit der Formen kaum zu überbieten ist. Im Hintergrund, das Auge wieder beruhigend, schließen sich schwarze, plateauartige Gipfel an.

Im weiteren Tagesverlauf überschreiten wir die gesamte am Morgen in Angriff genommene Gipfelkette. Die Berge des Tasedjebest in unserem Erkundungsgebiet steigen bis zu einer Höhe von 1600 m über NN auf. Auf Kletterwegen sind jedoch nur noch relative Höhen von 100 bis 400 m zu überwinden.

Überraschend ist, dass man den mittleren Schwierigkeitsgrad (III) kaum antrifft. Dies ist auf den Felsaufbau zurückzuführen. Das lockere Gestein erlaubt kein Klettern, bei dem der Fels auf Zug belastet wird. Ganze Felsplatten kann man ohne viel Mühe abbrechen. Wenn diese im Abgrund zerstoben, steigt weißer Staub auf, als wäre ein Sack Mehl hinunter gefallen. Dunkle Schatten haben. sich bereits zwischen den Türmen und Gipfeln eingenistet. Wir streben freudig über unsere gelungenen Erstbesteigungen dem Lager zu. Auf Lenz und Sepp, die ebenfalls eine Reihe von Türmen bestiegen haben, brauchen wir nicht lange zu warten, denn die ersten Gipfel unserer Erkundungsfahrt müssen gefeiert werden, und wenn dafür auch die letzte Flasche Cognac geopfert werden muss.

Im Verlauf der nächsten Tage besteigen wir noch eine Reihe von Gipfeln, wobei immer wieder ein paar im Süden am Rande eines Ergs aufragende kühne Türme ins Auge stechen. Ein Fußmarsch von 2 1/2 Stunden bringt uns über schwarzgebrannte Geröllhalden und feinen gelben Flugsand zum Fuß dieser Berge.

Wie kommt man auf einen Obelisken – und wieder runter?

Ein wuchtiger 400 m hoher Obelisk, allseitig überhängend aus einem Geröllkegel emporstrebend, wird von Lenz und Sepp in Angriff genommen. Einladend schaut dieser Turm von keiner Seite aus. Lenz umrundet den Turm ein paarmal, bis er sich für einen Kaminriss entscheidet. Zwei äußerst schwierige Seillängen, die ohne einen Sicherungshaken zu klettern sind, kommt er den Riss hoch. In der dritten Seillänge sind es noch ein paar Meter, die er höher spreizen kann, dann schließt sich der Kamin wie das Gewölbe eines gotischen Doms.

Außerhalb eines gewaltigen Überhangs setzt sich der Kamin wieder fort. Dieser Überhang kann mit den zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln nicht überwunden werden. Herkömmliche Haken sind unbrauchbar, da sich nach einigen Zentimetern die Horizontalrisse schließen. Senkrechte Risse sind nicht vorhanden. Wegen des lockeren Gesteins kann man Bohrhaken der üblichen Länge nicht verwenden. Lenz bleibt nichts anderes übrig, als zum Stand zurück zu klettern. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan. Da das Hochspreizen im Kamin aufgrund des Sandstaubbelags der Kaminwände schon ziemlich labil vor sich ging, kann man sich vorstellen, dass der Rückzug einem gehemmten Abrutschen gleichkommt. Vom Stand aus seilen sich die beiden mittels zweier fragwürdiger Haken ab.

Am Fuße der Wand angelangt, werden die Seile abgezogen. Nach zweimaligem Anziehen fallen die Seil einschließlich der am Abseilhaken befestigten Reepschnur herunter. Dies ist auf den Quarzgehalt des Sandsteins in unserem Erkundungsgebiet zurückzuführen. Der Quarz verfängt sich als kleine Splitter in den Seilen. Beim Abziehen der Seile durch die Reepschnur wird diese von den Quarzsplittern zerschnitten.

Während Lenz und Sepp sich an der Besteigung des Turmes versuchten, wende ich mich einem in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Doppelgipfel zu, um die Anstiegsmöglichkeiten zu erkunden. Die beiden Gipfel locken in gelbroter Färbung wie Flammenzungen aus dem schwarzen Geröllkegel hervor. Die Anstiegsmöglichkeiten sehen nicht einladend aus. Aufgrund des sehr großen Risikos, das diese Anstiege in sich bergen, verzichten wir schweren Herzens auf die Besteigung dieser Gipfel und wenden uns dem nächsten Erkundungsgebiet zu. In Fort de Polignac haben wir erfahren, dass die Piste durch die Berge des Tassilli-n-Adjjer zur Oase Djanet nicht mehr befahrbar sei und dass wir, wenn wir nach Djanet wollen, über den Erg d‘Admer fahren müssen. Der Versuch, den Erg zu durchqueren, endet bereits 10 km hinter Fort Gardel hoffnungslos im Flugsand. Das Tadrart-Gebirge, unser eigentliches Erkundungsgebiet an der Grenze zu Libyen, ist nicht zu erreichen. Dafür wenden wir uns dem westlichen Teil des Tassili n‘Ajjer und dem Nord-Hoggar zu.

Unser Lager im Tasedjebest im Tassili n’Ajjer
Unser Lager im Tasedjebest im Tassili n’Ajjer
Überschreitung der östlich des Lagers gelegenen Gipfelkette
Überschreitung der östlich des Lagers gelegenen Gipfelkette
Im Hintergrund locken unbestiegene Gipfel des Ifetesene-Massivs
Im Hintergrund locken unbestiegene Gipfel des Ifetesene-Massivs

Zweites Erkundungsgebiet: Tin Tarha

Siebzig Kilometer vor Fort Amguid, am Ende des Erg Iguidi, erhebt sich der Tin Tarha, als gewaltige Felsburg den Blick auf sich ziehend. Soweit es die Tragfähigkeit des Wüstensands erlaubt, nähern wir uns mit den Fahrzeugen dieser Felsfestung. Es bleibt noch ein zweistündiger Anmarsch über herrliche Flugsanddünen zum Fuß des Berges. Nach einer Stunde ermüdenden Aufstiegs über Geröllhalden sind wir am Beginn der Felswände. Das Gestein unterscheidet sich in der Struktur und der Zusammensetzung kaum vom Fels unseres ersten Erkundungsgebiets. In Zweierseilschaften unterteilt besteigen wir die Gipfel und Pfeiler des Tin Tarha, die im gesamten diese wuchtige 1800 m hohe Felsburg ergeben.

Während Alfred und Sepp zum Lager zurückkehren, wollen Lenz und ich noch einen westlich des Tin Tarha freistehend 120 m hohen Turm besteigen. Um 4 Uhr nachmittags erreichen wir diesen Felsturm. Als Anstieg bietet sich ein Kamin an, der durch eine am Turm angelehnte Platte gebildet wird. Dieser Kamin reicht nur zwei Drittel der gesamten Wandhöhe hinauf. Ob wir vom Ende des Kamins den Gipfel erreichen, ist noch eine offene Frage. Wir seilen uns an, Lenz führt die gesamte Tour.

In schwieriger, jedoch sehr schöner Kletterei kommen wir zwei Seillängen bis zu einer Felskanzel hoch, die durch die angelehnte Platte gebildet wird. Die unmittelbare Wand zum Gipfel ist nicht zu klettern. Lenz quert zehn Meter an der Wand nach rechts hinaus. Er findet einen Riss, der nach einigen sehr schwierigen Metern in eine Verschneidung übergeht. Die Verschneidung führt in schöner Kletterei zum Gipfel. Die Berge des Tin Tarha beginnen bereits im letzten Rot der Sonne zu leuchten, während sich über den Erg Iguidi graue Schatten legen. Wir müssen uns von diesem herrlichen Anblick trennen. Abseilend überwinden wir die schwierigen Stellen des Anstiegs. Vor Einbruch der Dunkelheit wollen wir noch ein Joch überschreiten, um die Richtung zu unserem Lager festzustellen. Ein paar Sterne und eine am Lager aufgestellte Gaslampe zeigen uns in der Nacht den Rückweg. Am 31.1.1967 verlassen wir unser Erkundungsgebiet, um über Fort Amguid, wo die Fahrzeuge und Reservekanister aufgetankt werden, den nördlichen Hoggar zu erreichen.

Ein Tuareg im Gebiet des Erg Bourarhet
Kaminkletterei am Tin Tarha
Kaminkletterei am Tin Tarha
Als mächtiger Obelisk ragt dieser Sandsteinturm 400 m aus der Wüste hervor
Als mächtiger Obelisk ragt dieser Sandsteinturm 400 m aus der Wüste hervor
Abseilen in luftiger Höhe
Abseilen in luftiger Höhe

Drittes Erkundungsgebiet: Ifetesene-Massiv

Gegenüber der gewaltigen Felsbastion, dem Teffedest, der von der alpinen französischen Expedition zum Hoggar (wird auch „Ahaggar“ genannt) 1935 bestiegen wurde, erhebt sich das Ifetesene-Massiv bis zu einer Höhe von 1700 m über NN. Am 1. Febr. 1967 errichten wir unser Lager am Fuße des Adrar Tidafli. In gewaltigen rot-braunen Platten, die kaum durch einen Riss gestört sind, bauen sich die Gipfel des Ifetesene-Massivs auf. Der Fels ist in Form, Farbe und Festigkeit ein Zwischending von Sandstein und Granit.

Lenz und Sepp versuchen über den Südgrat den Adrar Tidafli zu besteigen. Ich mache mich mit Kunz (Jürgen Künzel), unserem Koch, auf den Weg. Unser Ziel ist ein Doppelgipfel nördlich des Adrar Tidafli. Über großflächige Felsplatten, die eine Neigung von 35 Grad aufweisen, kommen wir dem ersten Gipfel schnell näher. Die gekörnte Oberfläche des Fels erlaubt selbst bei dieser Steilheit noch eine Fortbewegung ohne Zuhilfenahme der Hände. Etwa 100 m unterhalb des Gipfels steilt sich der Fels auf. Mit unserer bisherigen Technik ist es zu Ende. Nach einigem Suchen bietet sich ein Riss zum weiteren Anstieg an. Den einen Fuß Im Riss verklemmt, mit dem anderen an der Felsplatte nach Widerstand suchend, schiebe ich mich hoch. Nach 30 m neigt sich der Riss zurück. Ein paar Meter noch, dann dringt ein U-Haken in den Fels, der im Gegensatz zu unserem ersten Erkundungsgebiet wesentlich fester sitzt. Da der unmittelbare Weiterweg nicht einladend aussieht, quere ich vom Ende des Risses nach links. Durch einen versteckten Kamin ist der Gipfel zu erreichen.

Auch Hammerstiele brechen …

Zum zweiten Gipfel gelangen wir nach einem kurzen Abstieg in die Scharte zwischen beiden Gipfeln. Ein Quergang in die Westflanke bringt uns zu einen Kamin. Über diesen steigen wir zum Gipfel auf. Vor uns baut sich der Adrar Tidafli mit glatten, abweisenden Felsmauern auf. Im Hintergrund hebt sich matt aus dem durch die Hitze des Tages entstehenden Dunst, der Teffedest mit seiner höchsten Erhebung, dem Garet el Djenoun hervor. Wir seilen uns in eine Rinne ab, über die wir die Ebene der Wüste erreichen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder im Lager. Lenz und Sepp gelang die Besteigung des Adrar Tidafli. Ferner konnten sie einen südöstlich des Tidafli gelegenen Gipfel besteigen. Am nächsten Tag überschreiten Lenz und Kunz drei an das Ifetesene-Massiv anschließende Gipfel. Sepp und Alfred besteigen einen Nachbargipfel dieser Gruppe. Am Abend kommt Lenz mit einem abgebrochenen Hammerstiel am Lager an. Dies ist nicht das erste Mal. Durch die geringe Luftfeuchtigkeit trocknet das Holz aus, wobei die Zähigkeit der Holzfasern stark nachlässt. Ein fester Schlag, und schon hat man den Hammerstiel allein in der Hand.

Mit dem Besteigen der Gipfel des Ifetesene-Massivs im Nord-Hoggar findet die Reihe der Erstbesteigungen sein Ende. Wir wollen nun noch dem Atakor-Gebirge im zentralen Hoggar einen Besuch abstatten. Erstbesteigungen sind dort keine mehr zu machen. Unser nächstes Fahrtziel ist die Oase Tamanrasset.

Viertes Erkundungsgebiet: Der Ilimane im Assakrem-Plateau

Der zentrale Hoggar erhebt sich in der Atakor-Gruppe bis zu 2800 m über NN. Bergsteiger verschiedener Nationen haben diesem Gebirge bereits einen Besuch abgestattet. Besonderer Beliebtheit können sich dabei die Berge der Assekrem-Region rühmen. Der Ilamane, ein freistehender Gipfel auf dem Assakrem-Plateau, gilt als der schönste Berg des Hoggar. Ihn wollen wir zum Abschluss unserer Erkundungsfahrt noch besteigen.

Mit unseren voll beladenen Fahrzeugen können wir die schwierige Bergstrecke, die ausgehend vom Tamanrasset in nordöstlicher Richtung die Berge des Atakor durchzieht, nicht schaffen. Zu dritt mit einem Bus, der von allem unnötigen Ballast befreit ist, geht‘s durch Bachläufe, Furte und Bergpässe dem Ilamane entgegen.

Am Morgen des nächsten Tages besteigen wir den Ilamane über seine Nordostkante. Der als Granit bezeichnete Fels ist einigermaßen fest, jedoch mit dem Granit des Bergell oder des Mont Blanc nicht zu vergleichen. Die Kante führt in schöner Kletterei nach einer Stunde zum Gipfel, der von einem mannshohen Steinmann geschmückt wird. In jeder Felsplatte des Steinmanns sind die Namen sowie die Zugehörigkeit des Alpenclubs der Bergsteiger eingemeißelt, die diesen Gipfel bestiegen haben.

Ein kurzer Rundblick zu den Bergen des Assekrem-Plateaus. Es ist zugleich ein Abschiednehmen von den Bergen der Sahara, die uns in den letzten Wochen trotz ihres verschlossenen und abweisenden Aussehens vertraut geworden sind. Mit dem Abseilen über den Nordost-Grat entschwindet für uns eine Zeit voller Erlebnisse in den Bergen eines fremden Kontinents.

Übersicht der Gipfelbesteigungen

1. Gebiet:In der der Tasedjebest-Gruppe des Tassili n‘Ajjer wurden insgesamt 41 Gipfel mit Höhen zwischen 1400 m und 1680 m bestiegen
Zeit: 21.-27. Jan. 1967
2. Gebiet:Am Tin Tarha im westlichen Tassili n‘Ajjer wurden insgesamt 18 Gipfel mit Höhen von ca. 1800 m bestiegen
Zeit: 29.-31. Jan. 1967
3. Gebiet:Im Ifetesene-Masiv des nördlichen Hoggar wurden insgesamt 8 Gipfel mit Höhen zwischen 1450 m und 1680 m bestiegen
Zeit: 1.-3. Febr. 1967
4. Gebiet:In der Atakor-Gruppe des zentralen Hoggar wurde der Ilamane mit 2763 m bestiegen.
Zeit: 5. Febr. 1967

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die in den ersten Erkundungsgebieten bestiegenen Gipfel allesamt Erstbesteigungen waren. Nur der Ilamane im Atakor-Gebirge wurde schon öfters bestiegen.

Rückreise mit Hindernissen

Unsere bergsteigerische Aufgabe ist erfüllt. In Tamanrasset werden die Fahrzeuge und einige Reservekanister aufgetankt, dann geht’s auf der Hoggarpiste, einer der bekanntesten Saharapisten, nach Algier. Diese Piste ist im Gegensatz zu den zurückgelegten Strecken in der Sahara gut unterhalten. Damit liegt der schwierigste Teil für die Fahrzeuge hinter uns.

Die VW-Busse haben beim Durchqueren der Flugsandgebiete und auf den Bergstrecken des Tassili n‘Ajjer und Hoggar eisern durchgehalten, doch jetzt treten die ersten Schäden auf.

In der Arak-Schlucht zieht sich die Hoggarpiste von der Höhe des Mouydir hinab in die Ebene der Wüste des Erg Mehedjibat. Hier, 1600 km vor Algier, wo sich der nächste VW-Service befindet, stellt sich bei einem Wagen ein Getriebeschaden ein. Der zweite Gang fällt immer heraus, wenn man den Schalthebel nicht festhält. Beim Anfahren – oder wenn man Gas wegnimmt – gibt es im Getriebe einen hörbaren Schlag. Die Ursache könnte nur mit dem Ausbau des Motors festgestellt werden. Das hilft uns aber nichts, da wir, auch wenn wir den Schaden finden, keine Ersatzteile hätten. Außerdem wird bei der Überprüfung des Wagens festgestellt, dass ein Federblatt (die Verbindung zwischen Federstab und Hinterachse) in der Halterung abgebrochen ist und nur noch mit einer Schraube an der Hinterachse hängt. Da wir auch dafür kein Ersatzteil haben, wird diese Schraube so fest wie möglich angezogen. Dadurch entsteht eine Klemmwirkung, die die evtl. auftretende Belastung aufnimmt.

Die Fahrt wird trotz dieser Schäden fortgesetzt, da nur im besiedelten Küstengebiet im Bereich der großen Städte Algier und Oran mit Hilfe zu rechnen ist. Ab Oase El Golea führt eine Teerstrecke durch das schneebedeckte Atlasgebirge: noch 900 km bis Algier. Kurz nachdem wir diese Teerstraße erreichen, fällt beim zweiten Fahrzeug die Kupplung aus. Die Kupplungsdruckscheibe ist dreimal gebrochen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die 900 Kilometer zum nächsten VW-Service ohne Kupplung zurückzulegen. Die beiden Busse stellen aufgrund Ihrer Mängel auf den Passstraßen des Saharaatlas und des Antiatlas hohe Anforderungen an unsere Fahrkunst.

Nach zweitägiger Fahrt erreichen wir Algier. Der Bus mit dem Kupplungsfehler wird in Ordnung gebracht. Am Fahrzeug mit dem Getriebeschaden machen wir nichts, da dieses nach unserer Erkundungsfahrt aus dem Verkehr gezogen wird und sich das Getriebe auf den 1600 km von Arak bis Algier nicht wesentlich verschlechtert hat.

Mit drei Zylindern nach Wildenwart?

Über Oran, Oujda, Fes und Meknès fahren wir nach Tanger. Von dort bringt uns ein Fährschiff über die Meerenge von Gibralta nach Algeciras im Süden der iberischen Halbinsel. Ein Motorschaden in Spanien zwingt uns, die 500 km von Salamanca nach San Sebastian mit drei Zylindern zurückzulegen. Ein Zylinder ist durchgebrannt. In San Sebastian können wir in einer kleinen VW-Werkstätte einen alten Zylinder samt Kolben für 20 Mark erstehen. Die Reparatur führt Lenz selbst durch.

Auf der weiteren Rückreise treten bei den Fahrzeugen keine weiteren Schwierigkeiten mehr hinzu. Selbst der Bus mit dem Getriebeschaden hält durch. Am 28. Febr. 1967 treffen wir wieder in Wildenwart ein. Unser Vagabundendasein hat ein Ende gefunden. Bleiben wird die Erinnerung an Tage der Ungewissheit, des Wagnisses und voller überraschender Eindrücke in den endlosen Sandwüsten der Sahara.