Erste Winterbegehung am Predigtstuhl ca. 1964

Text: Sepp Feuersteiner

Eigentlich hatte sie uns schon lange in ihren Bann gezogen, seit wir wussten, dass die erste Winterbegehung noch zu machen wäre: die direkte Nordkante des Predigtstuhls im Wilden Kaiser.

Die senkrechten Fluchten der Kante flößten uns schon im Sommer großen Respekt ein. Wir wussten aber auch, dass Kufsteiner Kletterer daran interessiert waren. Sollen wir es wagen?

Am Samstag fuhren mein Freund Sepp und ich mit dem Motorrad zur Wochenbrunneralm. Zu Fuß stiegen wir mit unseren Rucksäcken, die ganz gewaltig auf unsere Schultern drückten, zum Ellmauer Tor auf, um von dort über den Beichtstuhl zum Einstieg der Kante zu kommen. Allein der Zustieg erforderte schon einige Kletterkünste, da die Felsen stark vereist waren. Am späten Abend richteten wir uns, nachdem wir noch eine Rufverbindung mit unserem Freund Lois auf der Strips hatten, ein notdürftiges Biwak ein. Bei minus 23 Grad war an Schlaf nicht zu denken. Dies war sicher unsere längste Nacht, wir konnten den Morgen kaum noch erwarten. Wir selbst und unsere Ausrüstung waren steif gefroren. Aber irgendwie schafften wir es, unseren knurrenden Magen zu befriedigen und unserem Körper wieder ein wenig Leben einzuhauchen. Schließlich wollten wir ja über die Kante zum Gipfel. Sepp gelangen die ersten Seillängen recht gut, wir kamen schnell voran, wenn bloß nicht diese enorme Kälte gewesen wäre! Unsere Finger und Zehen gehörten uns schon lange nicht mehr, da wir keine Handschuhe verwenden konnten. Aber was sind kalte Finger gegen das Gefühl, bei einer Erstbesteigung dabei zu sein! Um die Mittagszeit hatten wir gut die Hälfte geschafft. Die Schlüsselstelle befand sich aber noch über uns. Sepp hatte jetzt schwer zu kämpfen. Ich konnte ihn nicht sehen, aber dafür hörte ich ihn öfter schimpfen, wenn es gar nicht mehr recht weitergehen wollte. Es war aber auch verdammt senkrecht! Unter mir nichts als einige hundert Meter Luft. Irgendwie meisterte Sepp unter größten Anstrengungen auch die schwierigste Stelle; es wurde aber auch schon Zeit, denn der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Mit unseren letzten Kräften erreichten wir in der Dämmerung den Gipfel des Predigtstuhls. Durch den Botzong-Kamin, den wir über vier Seillängen abseilten, erreichten wir bei herrlichem Mondschein über das Ellmauer Tor die Gaudeamushütte. Inzwischen war es Mitternacht. Trotz unserer großen Müdigkeit bekam unser Magen noch eine Suppe, bevor wir in einem tiefen Schlaf dieses einmalige Erlebnis im Traum noch einmal erlebten.